Workshop „Poetik, Hermeneutik und Praxis Künstlicher Intelligenz“

Am 18. und 19. Oktober 2023 fand in den Räumen der Fritz Thyssen Stiftung ein von mir organisierter Workshop zu generativer Künstlicher Intelligenz statt. Hier sind Abstract und Programm der Veranstaltung:

Seit etwa 2018 hat die Entwicklung generativer Künstlicher Intelligenz entscheidende Durchbrüche erzielt. In kürzester Zeit sind zahlreiche große Modelle entstanden, die ein neues Niveau bei der Erzeugung von Texten, Bildern und Sprache sowie zunehmend auch von Videos und Musik erreicht haben. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in Zukunft ein immer größerer Anteil kultureller Produkte ganz oder teilweise von KI hergestellt wird.

Diese Entwicklung stellt neuartige Herausforderung an die Fächergruppe der Geisteswissenschaften, deren traditioneller Forschungsgegenstand von Menschen gemachte kulturelle Artefakte sind. Denn die meisten Analysekategorien der Geisteswissenschaften stammen aus der Auseinandersetzung mit menschlichen Schöpfungen und lassen sich nicht ohne Weiteres auf automatisch generierte Werke beziehen. Die neuen KI-Modelle zwingen die Geisteswissenschaften damit zu einer Revision ihrer Leitbegriffe.

Zugleich eröffnet der Fortschritt generativer Künstlicher Intelligenz den Geisteswissenschaften aber auch neue Forschungsperspektiven von neuer sozialer Relevanz. Denn wenn KI-Modelle mit und neben Menschen als Kommunikationsteilnehmer in Erscheinung treten, fordern sie andere kulturelle Techniken im Umgang mit ihnen ein. Die Geisteswissenschaften werden benötigt, um die Erzeugnisse generativer KI wie auch den Umgang mit diesen Erzeugnissen so zu erfassen, dass die veränderte gegenwärtige Lage beschrieben und gestaltet werden kann, ohne diese Veränderungen zu leugnen oder sie chiliastisch bzw. apokalyptisch zu dramatisieren.

Diese Aufgabe wird durch die etablierten disziplinären Grenzziehungen erschwert. Während die traditionellen Geisteswissenschaften über weitreichende Kompetenzen in der Beschreibung von Produktion, Rezeption und Funktionen ästhetischer Werke verfügen, fehlt ihnen gelegentlich die technische Expertise, die nötig wäre, um ihre Beschreibungskategorien auf KI-Modelle zu übertragen. Den Computerwissenschaften, die über dieses Wissen verfügen, mangelt es hingegen bisweilen an der historischen Perspektive, die notwendig ist, um die sozialen Folgen generativer KI zu erfassen.

Vor diesem Hintergrund soll der geplante Workshop einen Beitrag dazu leisten, das neue geisteswissenschaftliche Forschungsfeld der großen generativen Modelle in interdiszi­plinärer Perspektive auszuloten. Er bringt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen ins Gespräch, um neue geisteswissenschaftliche Forschungsperspektiven auf Künstliche Intelligenz zu entwickeln, die dem aktuellen Stand der technischen Entwicklung Rechnung tragen.

Programm

Mittwoch, 18.10.2023

13:00–14:00   Get-Together und Mittagsimbiss in der Stiftung

14:00–14:45   Prof. Dr. Christian Kirchmeier (Bremen): Einführung; Vorstellungsrunde

14:45–15:30   Prof. Dr. Stephanie Catani (Würzburg): Generative Literatur – ästhetische und ethische Perspektiven

15:30–16:00   Kaffeepause

16:00–16:45   Prof. Dr. Julika Griem (Essen): Ghostwriting

16:45–17:30   Dr. Roland Meyer (Bochum): Die Lücken im Archiv. Bildgeschichte als Ressource generativer KI

17:30–18:30   Abendimbiss in der Stiftung

18:30–19:30   Abendvortrag mit anschließendem Stehempfang in der Stiftung: Prof. Dr. Christian Kirchmeier (Bremen): Wie schreibt ChatGPT? Zur Poetik generativer Sprachmodelle

Donnerstag, 19.10.2023

09:30–10:30   Prof. Dr. Markus Rautzenberg / Mona Leinung (Essen): Unerträgliche Erzeugnisse. Die Generativität der Intelligenz

10:30–11:15   Prof. Dr. Rainer Malaka (Bremen): Bedeutung und Verständnis in künstlicher Intelligenz

11:15–11:45   Kaffeepause

11:45–12:30   Dr. Nina Tolksdorf (Berlin): Müssen KI’s meinen, was sie sagen? Zur Rezeption generierter literarischer Texte

12:30–13:15   Leonie Weißweiler (München): Sprachmodelle – das nächste Schlachtfeld der Linguistics Wars

13:15–14:30   Mittagsimbiss in der Stiftung

14:30–15:15   Prof. Dr. Jens Schröter (Bonn): KI, Automatisierung, Kreativität, kognitive Arbeit

15:15–16:00   Prof. Dr. Tanja Prokic (München): The Weird and the Evil: K.I. als ProdUser:in

16:00–16:30   Kaffeepause

16:30–17:15   Jun.-Prof. Dr. Anna Schürmer (Köln): POSTHUMAN | POSTDIGITAL. Überlegungen zu (klang)künstl(er(i(s)chen Intelligenzen

17:15–18:00   Prof. Dr. Eyke Hüllermeier (München): Künstliche Intelligenz: deduktiv, prädiktiv, generativ

18:00–18:30   Abschlussdiskussion